Bericht über eine Archivreise nach Leipzig und Berlin
Xiao Liu
Mit Unterstützung des UELIT-Vereins besuchte ich vom 23. bis 25. April das Sächsische Staatsarchiv in Leipzig sowie das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Ziel meiner Reise war es einerseits, letzte „Puzzleteile“ für meine Dissertation zu finden, und andererseits, neue Forschungsfelder im Rahmen des Projekts Post-Exil zu erschließen.
Im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig sichtete ich mehrere Mitgliederakten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Darunter befand sich auch die Akte der Buchhandelsfirma KAWE (Charlottenburg, Berlin), die im Interzonenbuchhandel eine wichtige Rolle spielte.[1] Ihr Geschäftsführer bis 1949, Alfred Szach, war zugleich auch Übersetzer.
Besonders aufschlussreich war zudem die Akte der deutschen Buchhandlung Nössler & Co. in Shanghai.[2] Diese Buchhandlung fungierte auch als deutschsprachiger Verlag und war unter anderem für die Bereitstellung von Lehrbüchern für die Kaiser-Wilhelm-Schule in Shanghai verantwortlich. Darüber hinaus gab sie die dreisprachige Zeitung Far Eastern Illustrated News in Chinesisch, Englisch und Deutsch heraus. Die erhaltene Korrespondenz zwischen der Shanghaier Buchhandlung und dem Börsenverein umfasst den Zeitraum von den späten 1930er-Jahren bis 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte die Buchhandlung ihren Sitz nach Frankfurt am Main. Diese Akte eröffnete einen Zugang zu den deutschsprachigen Publikationswelten in Shanghai.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Archivreise war die Buchhandelsfirma Koehler & Volckmar (K & V). Als Vorgängerin der staatlichen Deutschen Buchexport- und Import GmbH war K & V maßgeblich am Außenbuchhandel beteiligt. Im Jahr 1951 schloss sie mit der bayerischen Firma Kubon & Sagner einen Kompensationsvertrag ab: K & V lieferte Bücher aus Osteuropa und China an die als Tarnadresse fungierende Slawische Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, während Kubon & Sagner westdeutsche Publikationen nach Leipzig übermittelte. Die Vertragsverhandlungen fanden anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 statt. [3]
Auch Vertreter der chinesischen Delegation bekundeten bei dieser Gelegenheit ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit K & V sowie an einer Teilnahme an der Leipziger Buchmesse. Im November 1951 wurde ein Verkaufsvertrag zwischen der chinesischen Buchaußenhandelsfirma Guozi Shudian und K & V abgeschlossen. Auf der Leipziger Herbstmesse 1952 organisierte K & V den chinesischen Stand im Hansahaus, während sich die chinesische Delegation um die Kollektivausstellung auf der Messe kümmerte.[4] Diese Beispiele verdeutlichen eindrücklich, wie die Leipziger Buchmesse als Knotenpunkt für den gesamtdeutschen und internationalen Buchhandel fungierte.
Ein weiteres Thema meiner Dissertation ist die Internationale Buchkunstausstellung 1959. Zwar konnte ich bereits zahlreiche Presseberichte aus dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig), Neues Deutschland und anderen Quellen auswerten, doch die im Archiv gefundenen Materialien zu den Vorbereitungen, Begrüßungsreden, Länderlisten sowie Auszeichnungen ergänzen diese durch umfassende und detaillierte Informationen.[5]
Ein anderes Thema meiner Archivrecherche war die Verbreitung chinesischer Literatur in der DDR nach 1960. Nach der öffentlichen Eskalation der Konflikte zwischen China und der Sowjetunion wurde chinesische Literatur, insbesondere Publikationen mit aktuellen politischen Inhalten in der DDR zunehmend als sensibel eingestuft. In beiden Archiven konnte ich hierzu relevante Berichte der SED einsehen. Anfang der 1960er Jahre versuchte die chinesische Seite, ihre Publikationen auf verschiedenen inoffiziellen Wegen in die DDR zu bringen, z.B. durch Verteilung von Broschüren an ausländische Studierende, über Buchhandlungen oder durch Direktversand aus China ohne Berücksichtigung des offiziellen Buchhandels über die Deutsche Buch-Export und -Import GmbH.
„Guozi Shudian hat weiterhin an viele Buchhandlungen in der DDR – und wahrscheinlich auch an Endbezieher (das ist nicht nachweisbar) – Prospekte, eventuell sogar kostenlose Examplare der Broschüren, verschickt. Ferner laufen bei Guozi Shudian sogannte ‚standig orders‘, d.h. Daueraufträge für Neuerscheinungen. Darunter befindet sich ein Auftrag über 20 Examplare von Publikationen in arabischer Sprache für Studenten des Herder-Instituts in Leipzig. “[6]
Die SED und das MfS (Stasi) unternahmen Maßnahmen, um diese Verbreitungswege zu unterbinden und Funktionäre entsprechend zu sensibilisieren. Auch sämtliche Exponate aus allen Ländern auf der Leipziger Buchmesse 1963 wurden einer ideologischen Prüfung unterzogen. In einem Bericht heißt es: „Nach stehende Exponate musste auf Grund ihrer Hetze, tendenziösen oder feindlichen Darstellungen anlässlich der Überprüfung vor Eröffnung der LHM 1963 zurückbehalten werden.“[7]
Die Archivreise ermöglichte mir nicht nur eine gezielte Ergänzung meiner laufenden Dissertation, sondern auch wichtige Einblicke in bislang wenig erforschte Akteure und Prozesse der globalen deutschsprachigen Buchwelten im Exil und Post-Exil. Diese Erkenntnisse werden meine aktuelle Forschung bereichern und zugleich eine Grundlage für zukünftige Fragestellungen bilden.
[1] Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21765, Nr. F26611
[2] Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21765, Nr. F6827
[3] Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21065, Nr. 274
[4] Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21000, Nr. 1282
[5] Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21766, Nr. 2458; Sächisches Staatsarchiv Leipzig, 21766, Nr. 2093
[6] Bundesarchiv, DY 30/84347, Deutsche Buchexport und -Import GmbH an Handelspolitische Abteilung bei der Botschaft der DDR in der VR China, 6. April 1963
[7] Bundesarchiv, DY30/84342